Tom Peruzzi: 10 Hypothesen zur Bedeutung der neuen Datenwelt für die AdTech-Branche

Während das vermeintliche Ende der 3rd-Party-Cookies immer näher rückt und praktisch alle Akteure des Werbemarktes nach neuen Lösungen und Alternativen suchen, fragen sich viele Branchenbeobachter, welche weiteren Entwicklungen und Trends den Programmatic Advertising Markt in naher Zukunft prägen werden.

Erste Einblicke hierzu bot Tom Peruzzi, Virtual Minds CTO und Adtech-Experte, im Rahmen seiner Keynote bei der Heroes of Data & Privacy Konferenz, in der er zehn Hypothesen zur Entwicklung des Marktes aufstellte, wobei er betont: „Im Regelfall lässt unser Business-Alltag eine isolierte Betrachtung von manchen Gegebenheiten nicht zu. Um gewisse Themen jedoch pointierter betrachten zu können, ist es sinnvoll, jede aufgestellte Hypothese für sich zu betrachten – insbesondere deshalb, weil sie widersprüchlich zueinanderstehen können. Die Thesen sollten aber anregen, sich im eigenen Unternehmen mit diesen Themen zu beschäftigen.“

10 Hypothesen für die Entwicklung des AdTech-Marktes

1. Alles wird nur mit ausdrücklicher Zustimmung erfolgen

In den letzten Jahren hat eine zunehmende Sensibilisierung in Bezug auf die Abfrage von expliziten Nutzer-Einwilligungen stattgefunden. Einerseits, um den Anforderungen der DSGVO gerecht zu werden und andererseits, um die Sammlung von Daten ohne Zustimmung zu eliminieren.

Dieser Ansatz gewährleistet, dass transparent mit Nutzern umgegangen und sichergestellt wird, dass ihre Daten nur mit ausdrücklicher Zustimmung erhoben und verwendet werden. Gleichzeitig bietet er eine klare und rechtlich einwandfreie Grundlage für den Umgang mit personenbezogenen Daten. Um diese Vorgehensweise erfolgreich umzusetzen, ist jedoch ein effektives und gut informierendes Consent-Management sowie ein entsprechendes Consent-Archiv auf Publisher- und Advertiser-Seite erforderlich.

Wer den Fokus auf explizite Zustimmungen legt, geht einen verantwortungsvollen und nachhaltigen Weg im Umgang mit geltenden Datenschutzverordnungen. Dies kann Vertrauen bei den Usern schaffen und ermöglicht es, den rechtlichen Anforderungen gerecht zu werden, während gleichzeitig die Transparenz, Effizienz und Sicherheit der Datenverarbeitung verbessert wird.

2. Verbraucherschutz wird CMP-Layer verschwinden lassen

Es ist an der Zeit, sich intensiv mit der Gestaltung und Funktionalität von Consent-Bannern auseinanderzusetzen, um sicherzustellen, dass sie effektiv, verständlich und benutzerfreundlich sind. Nur so können wir eine transparente und zugängliche Consent-Verwaltung und den Schutz der Privatsphäre der Nutzer gewährleisten.

Zwar wurden mit den Consent- und Cookie-Bannern und den damit verbundenen Erläuterungen die Anforderungen der GDPR erfüllt, jedoch geben Verbraucherschutzbehörden zu bedenken, dass durch die Komplexität und branchenspezifischen Begriffe kaum jemand wirklich versteht, wofür die Zustimmung eigentlich gegeben wird bzw. die Summe an täglichen CMP-Layern zum Kunden-Verdruss führt und damit die Idee der bewussten, freiwilligen Entscheidung durch deren Summe erschwert wird.

Eine mögliche Lösung könnte darin bestehen, verstärkt auf Identity- und Zugangsmanagement-Plattformen zurückzugreifen, um sicherzustellen, dass Nutzer besser verstehen, welche Informationen sie freigeben und wie diese verwendet werden.

Die Notwendigkeit, dass User in der Lage sein sollten, ihre Zustimmung klar zu verweigern, ohne dabei durch versteckte Optionen behindert zu werden, nimmt weiter zu. Daher sollte das Ablehnen von Einwilligungen einfacher gestaltet werden.

Ebenso ist jeder gut beraten, die Global Vendor List auf ein erträgliches Minimum zu verkleinern, um eine Erklärbarkeit zu gewährleisten. Das hat den positiven Nebeneffekt, dass damit auch direkt die Prüf- und Sorgfaltspflichten der Seite vereinfacht werden.

3. Europäischer Datenmarkt wird neue Möglichkeiten eröffnen

Durch einen europäischen Datenmarkt (Data Act) könnten Unternehmen leichter auf eine breite Palette von Daten zugreifen, da die Regeln und Standards für den Datenaustausch einheitlich und klar definiert sind. Mit der Einführung einheitlicher Vorschriften werden zudem transparente und verlässliche Grundlagen für den Austausch und die Nutzung von Daten geschaffen. Dies fördert den Wettbewerb und ermöglicht es Unternehmen, effizienter zu arbeiten und neue Erkenntnisse aus den Daten zu gewinnen. Darüber hinaus bietet der europäische Datenmarkt rechtliche Sicherheit, da die Datenschutzbestimmungen und die Einhaltung der Europäischen Datenschutzgrundverordnung für alle Teilnehmer verbindlich sind.

Gleichzeitig würde die Teilnahme am europäischen Datenmarkt jedoch Anpassungen und Investitionen seitens der Marktplätze erfordern, um die neuen Anforderungen zu erfüllen. Dies kann den gesamten Markt positiv beeinflussen und die Wertschöpfung in Europa stärken. Beispielsweise kann dies bedeuten, dass Datenschutzmaßnahmen verbessert oder Datenverwaltungspraktiken überdacht werden müssen, um den Regelungen gerecht zu werden. Diese Anpassungen sind jedoch notwendig, um weiterhin von den Vorteilen des europäischen Datenmarkts zu profitieren und wettbewerbsfähig zu bleiben.

4. Google wird den Third-Party-Cookie in 2024 nicht abschaffen

Google hat das Ende der Cookies bereits mehrfach nach hinten verschoben, was in einer Möglichkeit mündet, dass Cookies auch nach 2024 noch im Einsatz sein könnten. Ja, der Fahrplan steht fest, jedoch besteht am Markt noch immer sehr viel Resthoffnung, auch weiterhin in alten Mustern weiter arbeiten zu können.

Manche Unternehmen werden in diesem Fall der Verlockung erliegen, sich nicht mehr aktiv mit der Einbindung von alternativen Lösungen zu beschäftigen, da die Notwendigkeit (erst einmal) entfällt. Es darf jedoch nicht vergessen werden, dass Cookies bereits heute nur noch rund 20 Prozent der User erreichen und Alternativen unumgänglich sind.

Der Übergang in eine Welt ohne Cookies verlangt zudem gründliche Überlegungen und Anpassungen seitens der Unternehmen: Möglichen Auswirkungen auf die Datenerfassung, die Zielgruppenansprache und das Marketing müssen beachtet werden und erfordern ein hohes zeitliches Engagement.

Es ist daher von großer Bedeutung, dass Unternehmen nicht untätig bleiben, die Chance der Stärkung von Datenschutz und Transparenz zu stärken erkennen und den Wandel im Bereich der Datenerfassung proaktiv angehen.

Doch wann ist der beste Zeitpunkt, sich mit Alternativen zu beschäftigen? Die einzig richtige Antwort ist gestern. Es gibt eine Fülle an potenziellen Lösungen und jede für sich ist spannend, allerdings werden wir einen stark fragmentierten Markt vorfinden - zumindest in der Übergangsphase.

5. DSA / DMA wird große Unternehmen kontrollieren und kleine werden kämpfen müssen

Die mit dem Digital Market Act verbundenen Kontrollen, wie beispielsweise die Nachverfolgung von Geboten oder die Herkunft von Anzeigen, erfordern erhebliche Ressourcen und ständige Anpassungen. Auch wenn viele der Anforderungen primär für Gatekeeper gedacht waren, ist aufgrund der Vernetztheit der Aufwand für alle in der Kette gegeben, ansonsten droht ein finanzieller Aderlass. Die Einhaltung der Transparenzvorschriften verlangt zudem eine enge Zusammenarbeit und einen verbesserten Datenaustausch zwischen Werbetreibenden, Agenturen, Technologieanbietern und Verlagen, wodurch es notwendig sein kann, neue Systeme und Prozesse einzuführen.

Für kleine Unternehmen kann dies eine Herausforderung darstellen, da sie möglicherweise nicht über die finanziellen Mittel oder die technische Infrastruktur verfügen, um diese Anforderungen zu erfüllen. Es besteht die Gefahr, dass sie im Wettbewerb benachteiligt werden und Schwierigkeiten haben, mit den Bedürfnissen des Digital Market Act Schritt zu halten.

Es ist also wichtig, dass Regulierungsbehörden und Entscheidungsträger dies berücksichtigen und Maßnahmen ergreifen, um sicherzustellen, dass diese Entwicklung für alle Unternehmen – unabhängig von ihrer Größe – umsetzbar ist. Mögliche Lösungen könnten Schulungs- und Unterstützungsprogramme, vereinfachte Compliance-Verfahren oder finanzielle Erleichterungen für kleine Unternehmen sein.

Letztendlich erfordert die Umsetzung des Digital Market Act einen gemeinsamen Einsatz, um sicherzustellen, dass alle Teilnehmer die erforderlichen Bestimmungen erfüllen können. Nur so kann das digitale Ökosystem fair und transparent gestaltet werden, was langfristig allen Beteiligten zugutekommt.

Tom Peruzzi bei einer Keynote

6. Künstliche Intelligenz wird den Umgang mit privaten Daten verändern

Der Einsatz künstlicher Intelligenzen zur Segmentierung und Sortierung von Daten kann dazu beitragen, Informationen relevanter und zielgerichteter bereitzustellen – gleichermaßen ist es jedoch von entscheidender Bedeutung, dass dabei die Privatsphäre der Nutzer gewahrt bleibt.

Die Herausforderung besteht darin, eine klare Abgrenzung zwischen Interessen und privaten Daten zu ziehen. Während Interessen als allgemeine Präferenzen und Vorlieben betrachtet werden können, können private Daten sowohl persönliche Identifikationsmerkmale als auch sensible Informationen umfassen. Je enger die Interessen betrachtet werden, desto größer ist die Gefahr, dass durch die feine Granularität am Ende wieder ein Identifier entsteht, der dann wieder unter Persönlich Identifizierbare Informationen (PII) fallen würde.

Es liegt in der Verantwortung von Unternehmen, eine sorgfältige Balance zwischen der Nutzung von KI zur Verbesserung von Dienstleistungen und dem Schutz der Privatsphäre der Nutzer zu finden. Eine ethische Herangehensweise an den Einsatz von KI erfordert daher eine kontinuierliche Überprüfung und ein erklärbares Verständnis der eingesetzten Algorithmen, eine Minimierung der Datenerfassung auf das notwendige Maß und eine sichere Aufbewahrung der gesammelten Informationen.

Indem wir uns bewusst mit den Herausforderungen auseinandersetzen und klare Richtlinien für den Umgang mit Daten und Interessen festlegen, können wir einen besseren Schutz der Privatsphäre gewährleisten und gleichzeitig die Vorteile künstlicher Intelligenz nutzen.

7. Werbung wird weniger komplex

Komplexe oder verschachtelte Skripte – insbesondere Huckepacks und JavaScript – werden häufig für verschiedene Zwecke in der Online-Werbung eingesetzt, wie beispielsweise das Tracking von Nutzerinteraktionen, das Targeting von Anzeigen oder das Erfassen von Conversion-Daten. Allerdings stehen Skripte häufig in der Kritik, da sie oft unbemerkt Informationen über die Nutzer sammeln und somit Sicherheits- und Datenschutzbedenken aufwerfen.

Die Kritik an Skripten ist alt und berechtigt, da ihre Auswirkungen oft nur mit hohem Aufwand kontrollierbar sind. Unternehmen und Werbetreibende sollten daher alternative Ansätze in Betracht ziehen, um ihre Ziele zu erreichen, ohne auf entsprechende Skripte angewiesen zu sein. Dies könnte beispielsweise die Nutzung einfacherer Technologien und Standards umfassen, die die Effektivität der Werbung und die Benutzererfahrung verbessern, aber gleichzeitig die Komplexität und Risiken reduzieren.

Es ist wichtig, dass die gesamte Branche zusammenarbeitet, um Lösungen zu entwickeln, die die Vorteile der Werbeauslieferung maximieren und gleichzeitig die Bedenken hinsichtlich der Kontrollierbarkeit, des Datenschutzes und der Gesetzgebung berücksichtigen.

Tom Peruzzi bei einer Keynote

8. Das „Pur“-Abo-Modell wird Europa beherrschen

Werbefreie Angebote, bei denen Nutzer für eine Website ohne Advertisment bezahlen, gewinnen immer mehr an Bedeutung. Zwar stellt dieses Angebot einen positiven Schritt in Richtung Datenschutz und Privatsphäre sowie wirksames Mittel zum Schutz der Datensicherheit dar, führt gleichzeitig aber auch zu weniger frei verfügbarem Content und weniger ausgespielter Werbung.

Wichtig ist, dass redaktionelle Inhalte weiterhin eine ausreichende Chance auf Monetarisierung besitzen – sowohl offen zugänglich als auch geschlossen zur Stärkung der Medienvielfalt. Die Verringerung der freien Inhalte hätte am Ende auch massive Auswirkungen auf die Re-Marketing Branche und darauf, wie in Zukunft die Endkunden noch im freien Netz erreicht werden können. Im schlimmsten Falle würde dies einen vollen Abfluss der Werbegelder in Social Media bedeuten und damit eine weitere Schwächung des europäischen Wirtschaftsstandorts.

9. Es werden neue Standards für Login-Lösungen von Nöten sein

Die Einführung von Login-Lösungen als Alternative für Third-Party-Cookies kann mehr Kontrolle und Transparenz für Nutzer ermöglichen, denn sie gewähren durch gezielte Auswahl eine bessere Verwaltung der Zustimmungen und Datenschutzeinstellungen.

Ein Beispiel für eine solche Lösung ist die 1st-Party-Consent-Architektur (1PCA): Durch 1PCA können Publisher eine direktere Beziehung zu ihren Werbekunden aufbauen und die Anzahl der Teilnehmer innerhalb der Wertschöpfungskette wird verringert, da Daten direkt zwischen dem Publisher und den Werbekunden ausgetauscht werden. Durch eine stärkere Kontrolle und Verantwortung für die Daten können Publisher in der Folge qualitativ hochwertigen Content und bessere Anzeigen liefern, da sie ein besseres Verständnis für die Präferenzen und Interessen ihrer Nutzer haben.

Die Einführung neuer Standards und Login-Lösungen erfordert jedoch eine branchenweite Zusammenarbeit und Koordination. Es ist wichtig, dass Unternehmen, Technologieanbieter und Regulierungsbehörden zusammenarbeiten, um einheitliche Richtlinien und Verfahren zu entwickeln. Datenschutz und Transparenz müssen dabei im Vordergrund stehen, um das Vertrauen der Nutzer zu gewinnen und die langfristige Nachhaltigkeit des digitalen Ökosystems zu gewährleisten.

10. Große Plattformen werden von der Fragmentierung des Marktes profitieren

Am Ende steht die Frage, wer der Profiteur der nächsten Zeit ist, und es scheint so, als würden wieder einmal die großen Plattformen den größten Nutzen aus der Fragmentierung des Marktes ziehen können. Die Einführung neuer Identifikatoren und Lösungen auf dem digitalen Markt hat zu einer erhöhten Fragmentierung geführt, da viele Anbieter und Plattformen eigene Methoden zur Identifizierung von Nutzern entwickelt haben. Diese Fragmentierung hat jedoch insbesondere den großen Plattformen Vorteile verschafft, da sie über umfangreiche Ressourcen und Technologien verfügen, um mit dieser Vielfalt umzugehen und Lösungen wie Single-IDs, wie sie beispielsweise von Google angeboten werden, könnten potenziell als Gewinner daraus hervorgehen.

Es wird in Zukunft nicht die eine perfekte Lösung geben, jedoch ist es wichtig, dass sich die Branche auf einige wenige Lösungen einigt, um die Fragmentierung zu verringern und eine effiziente Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Parteien zu ermöglichen. Eine zu große Vielfalt an Identifikatoren und Lösungen erschwert nicht nur die Umsetzung und Integration, sondern kann auch zu einem erhöhten Aufwand und Kosten führen.

Insgesamt ist die Fragmentierung des Marktes mit neuen Identifikatoren und Lösungen derzeit eine Realität, mit der alle umgehen müssen. Manche Lösungen von großen US-Playern werden durch die Marktgröße de facto einfach durchgesetzt und führen zu großen Aufwänden aufseiten aller Intermediäre. Es ist jedoch von entscheidender Bedeutung, dass die Branche aktiv auf eine Vereinheitlichung hinarbeitet und die Fragmentierung innerhalb der kommenden zwei bis drei Jahre überwindet.

Fazit

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die aktuelle Entwicklung des Marktes die aktive Beteiligung aller teilnehmenden Parteien benötigt, um standardisierte und heterogene Lösungen zu finden, von denen sowohl Advertiser, Publisher, Technologieanbieter als auch User profitieren. Datenschutz und der allgemeine Umgang mit Nutzerdaten sowie die europäische Gesetzgebung müssen bei diesen neuen Lösungen ganz klar im Fokus stehen.

Es bleibt weiterhin spannend, welche Alternativen sich durchsetzen werden und wie sich der digitale Werbemarkt infolgedessen in den nächsten Jahren verändern wird.

Die gesamte Keynote von Tom Peruzzi „Intermediaries on rough Seas: What the new Data World means for the Adtech Industry”, in der er die vorgestellten Hypothesen erläutert, kann hier im Video noch einmal angesehen werden:

Bei allen Hypothesen ist es wichtig zu beachten, dass es sich nicht um juristische Beurteilung handelt, sondern diese lediglich der Betrachtung der am Markt aktiven Kräfte folgen.

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